Der Lieper Winkel ist eine Landzunge auf der Insel Usedom. Peenestrom, Achterwasser und Krienker See umgeben ihn. Hier gibt es noch unbefestigte Straßen und altes Kopfsteinpflaster, morgens krähen die Hähne, und die Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten sind eher bescheiden. Wer auf einen Supermarkt nicht verzichten will, fährt nach Usedom-Stadt, ansonsten kann man sich zum Beispiel in Elas Kaufeck in Warthe oder Ramonas Hofladen in Krienke mit dem Nötigsten versorgen. Im Lieper Winkel dominieren Viehweiden, Felder, Feuchtwiesen, Moorflächen und Wälder, und in Quilitz wartet der Peenestrom sogar mit einer Steilküste auf. Es gibt reetgedeckte alte und neue Wohnhäuser, Backstein- und Fachwerkhäuser. - Und es gibt Sonnenauf- und Sonnenuntergänge zum Niederknien!
Der Lieper Winkel war lange Zeit abgeschieden und dünn besiedelt. (Und ist es heute noch – relativ.) Viele Dörfer erreichte man damals nur vom Wasser aus. Erst seit gut 100 Jahren verbindet eine Straße einige Dörfer des Lieper Winkels. Diese zweigt von der Bundesstraße 110 ab und verbindet die Dörfer Suckow, Krienke, Rankwitz, Liepe und Warthe.
Das ehemalige Fischerdorf Warthe ist so etwas wie das Ende der Welt. Zumindest ist es das Ende des Lieper Winkels, eben sein nördlichster Ort. Die Straße, die hier ankommt, ist keine Durchgangsstraße, sondern endet hier. Weitere Dörfer des Lieper Winkels, die nicht direkt an dieser Nord-Süd-Chaussee liegen, konnte man sogar bis vor wenigen Jahren nur über Betonplattenwege erreichen. Eine Ahnung von diesem sehr holprigen Fahrgefühl vermittelt der Plattenweg, der auch heute noch von der Chaussee nach Reestow abzweigt.
Touren zu Fuß oder mit dem Fahrrad bieten sich an, um die Landzunge zu erkunden: teils als ufernahe Umrundung, teils als landseitige Querung.
Der Usedom-Rundweg, ein Radweg, der auch durch den Lieper Winkel verläuft, führt einige Zeit auf dem Deich entlang (so zwischen Grüssow und Warthe). Die aus der Not geborene Idee, mein Zweitrad mitzunehmen (ein Mountainbike, welches besser ins Auto passte als das Erstrad), erweist sich als äußerst vorteilhaft. Die Wege sind teils sandig, teils schlammig. Manchmal führt die Strecke mitten durch den Wald auf unbefestigten Wegen, die von schwerem Forstgerät aufgewühlt wurden, und manchmal, nur manchmal ist der Usedom-Radweg hier im Lieper Winkel gepflastert oder asphaltiert. Aber egal wie der Untergrund beschaffen ist, die Strecke ist insbesondere am Achterwasser idyllisch (und windig!).
Vom Lieper Winkel aus kann man Ausflüge ins Achterland und in die Haff-Region unternehmen. Im Hof von Wasserschloss Mellenthin lässt sich gut ein hausgebrautes Bier in der Abendsonne genießen. Und eine Radtour nach Stolpe und zum Stettiner Haff ist abschnittsweise zwar recht beschwerlich, da der Weg wieder quer durch den Wald führt. Schloss Stolpe, das Haff und die Bäckerei Langhoff in Stolpe (Der Walnusskuchen!) entschädigen mit Genüssen verschiedenster Art.
Stichwort „Genüsse“: Die Gaststätte Achterland in Morgenitz wurde uns vom Vermieter unserer Ferienwohnung für ein Abendessen empfohlen. Unser erster Eindruck beim Betreten: Relativ klein, sehr gepflegt, aber etwas bieder, sieht irgendwie nach Wohnstube aus. Der zweite, dritte und alle weiteren Eindrücke lassen den ersten Eindruck weit hinter sich.
Ich bestelle einen kleinen Salatteller. Schon beim ersten Bissen frage ich mich, wie die Küche einen solchen Salat zu dieser Jahreszeit (fast noch mitteleuropäischer Winter!) hinbekommt: Tomaten, Gurke und Blattsalat haben Biss und Geschmack (die anderswo meist vollmundige Ankündigung „vollreifer Tomaten“ wäre hier durchaus angemessen), und das Dressing ist kein Fertigprodukt (3,90 EUR).
Als Hauptgericht wähle ich die „Paprikapfanne“, obwohl ich befürchte, dass das Fleisch mit erhitztem Letscho aus dem Glas daherkommt. Die Befürchtung erweist sich als völlig unbegründet. Die Kellnerin serviert mir Schweinegeschnetzeltes mit Bratkartoffeln, ganz fein geschnittenen, lediglich angebratenen, bunten Paprikastreifen und ebenfalls angebratenen, noch bissfesten frischen Champignons (11.50 EUR).
Meine Begleitung erhält das Rumpsteak mit Bratkartoffeln in einer ovalen gusseisernen Pfanne. Es brutzelt und zischt, und das Rumpsteak ist auf den Punkt gebraten (18,50 EUR). Im Preis ist bereits ein kleiner Beilagensalat enthalten.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal (und ob überhaupt!) so gut gegessen habe. Man merkt dem Essen an, dass es dem Koch Freude gemacht hat, es zuzubereiten. Die Bedienung ist so unaufdringlich freundlich und zuvorkommend – das ist selten! Während ich ansonsten beim Trinkgeld eher sparsam bin und es mehr oder weniger als Verpflichtung ansehe, gebe ich hier gerne und großzügig mit einem Lächeln und einem Dank auch an die Küche. Die junge Kellnerin freut sich sichtlich und übermittelt Lob und Dank sofort dem Koch.
Fazit: Der Lieper Winkel ist ein Fleckchen zum Wohlfühlen - für Nostalgiker, Liebhaber langer Spaziergänge, Radfahrer, die schlechte Wege nicht scheuen und Trubelvermeider jeglicher Art.