Kaum habe ich unsere gut sortierte Reisebuchhandlung in der Dresdner Neustadt betreten und erwähnt, dass ich eine Wanderkarte für eine Trekking-Tour in Island benötige, vermutet der freundliche Inhaber: „Ihr wollt bestimmt auf den Laugavegur!“ „Nein“, antworte ich, „auf den Kjalvegur. Der ist nicht so überlaufen.“ Die von mir gewünschte Karte bestellt er sofort, einen Tag später kann ich sie abholen.
Erster Trekkingtag
Unser erster Trekkingtag beginnt gar nicht lustig. In Reykjavik müssen wir sehr früh aufstehen, es regnet, das Zelt ist nass, und wir packen es auch nass ein. Am Busterminal steigen wir in den Bus, der Islands Hochland durchquert. Unterwegs hält er - touristenfreundlich – für jeweils 20-30 Minuten am Geysir Strokkur und am Gullfoss-Wasserfall. Nach ca. 3 Stunden Fahrzeit erreichen wir gegen Mittag den Startpunkt unserer Wanderung – den Abzweig von der unbefestigten Hochlandpiste auf eine noch weniger befahrene Seitenpiste. Diese führt nach Hvítárnes, unserem Tagesziel. Die anderen Fahrgäste betrachten uns reichlich verwundert, als wir mitten im scheinbaren Nichts aussteigen. Um uns herum eine Mondlandschaft, kein Haus, kein Baum, kein Strauch, nur grau-braunes Lavafeld. Die erste Etappe ist kurz und eben. Sie dient uns als Einstimmung auf das, was kommt. Wir testen Zwiebelprinzip und Wetterfestigkeit der Kleidung und erfahren, wie es sich mit einem 18 kg schweren Rucksack wandert. In Hvítárnes bauen wir das nasse Zelt auf.
Bei der Gelegenheit bemerke ich, dass unser Zelt seinen Packbeutel durchweicht und auf diesem Wege meine im Rucksack befindliche lange, warme Baumwollhose erreicht hat, die ich zum Schlafen anziehen wollte. Ein Blick zum Himmel genügt, um zu erkennen, dass diese Hose bis auf weiteres nicht trocknen und daher auch nicht wärmen wird. Der viel zitierte - und von mir beim heimischen Packen ignorierte - Spruch der isländischen Ranger „Cotton kills“ wird plötzlich sehr real.
Der Nachmittag und der Abend bleiben regnerisch, und wir können die Lage unseres Stellplatzes mit Blick auf Gletschersee und zwei markante Gletscherzungen des Langjökull nur halbherzig würdigen. Gegen Acht begeben wir uns in die Schlafsäcke, um kurz darauf von der Hüttenwirtin durch die Zeltwand hindurch um die Übernachtungsgebühr gebeten zu werden. Mit einer großen Einkaufstasche, die sie weit aufhält, steht sie vor unserem Zelt im Regen. Ich werfe zwei Tausendkronenscheine ein. Außer uns gibt es nur ein weiteres Zelt mit zwei französischen Radfahrern. Vier isländische Familien auf Wochenendtrip parken einen Steinwurf entfernt ihre campingtauglichen Allrad-Fahrzeuge, in denen sie schlafen. In der Hütte selbst übernachtet heute nur die Wirtin.
Zweiter Trekkingtag
Die Würdigung unseres Stellplatzes hole ich am frühen Morgen nach, als ich gegen Fünf von der Sonne geweckt werde. Dieser Morgen ist auch vor dem Frühstück bereits einen Spaziergang und ein paar Fotos wert - über saftig grüne, sumpfige Wiesen und mit Gletscherblick!
Das Frühstück findet gemeinsam mit isländischen Mücken statt, die zwar lästig sind, wenn sie in Klassenstärke das Gesicht umschwirren, aber nicht stechen. Die zweite gute Nachricht: Unser Zelt ist trocken. Während wir uns auf den Abmarsch vorbereiten, hisst die Hüttenwirtin auf der Wiese neben dem Toilettenhäuschen die isländische Flagge. Ein bisschen Patriotismus darf sein!
Die heutige Etappe führt über uralte Reitwege, die tiefe braune Furchen im umgebenden Grün der Heide gebildet haben - manchmal so breit und tief, dass man darin windgeschützt picknicken kann. Abschnittsweise ist es sumpfig. Dann geht es an einem Gletscherfluss entlang. Diesen müssen wir queren. Unsere Wanderstöcke erleichtern dies ganz erheblich.
Steinwarte, die ursprünglich der Orientierung der Reiter dienten, weisen uns den Weg. Erstaunlich ist die Pflanzenvielfalt, die in dieser kargen Landschaft gedeiht. Die Flora ist bodennah, es gibt keinen Wald. Der fehlende Wald ist Gegenstand so mancher Anekdote. In Reykjavik stellte uns ein Isländer die nicht ganz ernst gemeinte Frage: „Was musst Du tun, wenn Du Dich in Island im Wald verlaufen hast?“ – Seine Antwort: „Aufstehen.“ (Grins!)
Kurz vor dem Etappenziel überqueren wir eine Fußgängerbrücke über eine enge Schlucht, durch die ein Flüsschen tobt, eine Brücke, die bereits mehrere Male neu errichtet werden musste. Schuld war der isländische Hochlandwinter.
Der Pfad führt bergab, und wir erreichen die zweite Hütte mit dem – für uns trotz mehrfachen Übens unaussprechlichen – Namen Þverbrekknamúli. Wir sind die einzigen, die heute hier übernachten. Auch ein Hüttenwirt ist nicht anwesend. Wir bauen unser Zelt auf. Dafür nutzen wir einen der – wahrscheinlich von etlichen Campern vor uns - vorbereiteten Stellplätze: eine ebene Fläche, die von mehreren Reihen übereinander geschichteter Findlinge halbkreisförmig umschlossen ist und Hoffnung auf einen gewissen Windschutz verspricht.
Die Hütte ist unverschlossen, und wir deponieren unsere Zeltgebühr in einer dafür vorgesehenen Metallbox. Die Lage der Hütte ist ein Traum! Wir genießen die Abendsonne auf der Terrasse mit Blick auf den Hrútfell-Gletscher (1.396 m). Dann noch ein – ebenfalls sonniger - Abendspaziergang. Was folgt, sind Regen, Sonne, Regen, Sonne, ein Regenbogen, dann ein zweiter. Auch nachts regnet es. Island eben.
Dritter Trekkingtag
Beim Aufwachen konzentrieren sich meine Ohren zunächst darauf, ob sie das Prasseln von Regentropfen auf der Zelthaut wahrnehmen. Fehlanzeige! Der Regen muss in der Nacht aufgehört haben, das Zelt ist bereits trocken. Nachdem der Hörsinn seine erste morgendliche Arbeit getan hat, registriert der Geruchssinn Schwefelgeruch (den typischen Geruch nach faulen Eiern) und meldet diesen weiter. Mein Verstand sucht nach Ursachen und reagiert als erstes leicht panisch: Gab es womöglich einen Vulkanausbruch? Zweiter Gedanke: Oder hat einfach nur der Wind gedreht und beschert uns nun Düfte vulkanischer Gase?
Wie wir bald feststellen werden, ist unsere heutige Tagesetappe über den Bergrücken Múlar mit leicht alpinen Passagen verbunden. Es wird ausgesprochen abwechslungsreich! Zunächst geht es durch eine Lava-Wüste, dann kräftig bergauf und schließlich steil bergab über Lava-Geröll. Bei diesem Abstieg sind unsere Trekking-Stöcke erneut sehr hilfreich. Kurz darauf erwartet uns eine Flussquerung, diesmal über eine kleine Gitterrostbrücke. Zum Schluss wandern wir durch ein erstaunlich grünes Tal bis hin zur etwas erhöht am Hang gelegenen Hütte Þjófadalir. Auch diese ist nicht bewirtschaftet und nicht verschlossen, und wieder gibt es eine „Kasse des Vertrauens“.
In unmittelbarer Nähe der Hütte errichten wir das Zelt auf einer Wiese. Windschutz bietet der Stellplatz nicht. Auf der Wiese grasen Schafe. Um uns herum schwirren die nun schon beinahe vertrauten isländischen Mücken. Und – natürlich – bietet unser Stellplatz mal wieder einen wunderbaren Gletscherblick. Infrastrukturell ist alles da, was wir brauchen: Trinkwasser holen wir vom unterhalb der Hütte gelegenen Bach. Und etliche Meter weiter talwärts am Fuße des Hanges befindet sich das Plumpsklo.
Am Abend wird es ein bisschen windig. Gegen 22:00 Uhr, wir liegen schon längst im Zelt, nimmt der Wind deutlich zu, schließlich wird es stürmisch. Ich gehe nachts zweimal raus: Zunächst, um die Abspannleinen des Zeltes zu prüfen, nach zu spannen und die Heringe bis zum Anschlag zu versenken. Beim zweiten Inspektionsgang beschwere ich dann noch alle Heringe mit Steinen. Dennoch kann ich nicht schlafen, das Zelt wird tüchtig durchgerüttelt und vibriert. Ich habe die nicht ganz unberechtigte Sorge, dass das von Freunden geliehene Zelt nicht 100% island-tauglich ist. Für den Fall der Fälle packen wir mitten in der Nacht vorsorglich unser Hab und Gut in die Rucksäcke, so dass wir schnell in die Hütte flüchten könnten.
Vierter Trekkingtag
Eine nächtliche Evakuierung unseres Zeltes war nicht erforderlich. Alles ging gut. Nur ich, ich habe nicht geschlafen. Am Morgen stürmt es nach wie vor. Trotzdem gelingt der Zeltabbau reibungslos. Und: Das Zelt ist trocken.
Obwohl die vierte Tagesetappe eher kurz ist, wird es aufgrund des heftigen Gegenwindes recht anstrengend. Ein Pfad führt uns zunächst über einen kurzen steilen Anstieg aus dem Tal heraus, dann geht es sanft wieder bergab. Schließlich führt die Route über ein ausgedehntes Lavafeld bis ins Geothermalgebiet von Hveravellir. Bereits aus mehreren Kilometern Entfernung erkennen wir die aufsteigenden Dämpfe.
Da Hveravellir über eine Schotterstrecke an die Hochlandpiste angeschlossen ist, gibt es hier etliche Touristen mit Allradfahrzeugen. Auf der gesamten Kjalvegur-Route hingegen sind wir kaum jemandem begegnet.
Der Vulkanismus hat in Hveravellir Heißwasserquellen, Fumarolen und Solfatare (Austrittsstellen von Wasserdampf oder vulkanischen Gasen) entstehen lassen. Ein Rundweg auf Holzplanken führt um etliche dieser zischenden, blubbernden, dampfenden, spuckenden und stinkenden Sehenswürdigkeiten herum. Es gibt Sinterterrassen, und gleich daneben lädt ein natürlicher Hot Pot zum Baden ein. Ständig fließt hier 80-100 Grad Celsius heißes Wasser in das kleine Naturbecken, kaltes Wasser wird von einem Bach zugeführt. Und: Natürlich nehmen wir die Einladung an und entspannen zum Abschluss unserer Trekking-Tour im Hot Pot.
Am nächsten Tag bringt uns der Hochlandbus in mehrstündiger Fahrt zurück nach Reykjavik. Dort kennen wir uns halbwegs aus. Wir wissen, wo der Stadtbus abfährt, wir wissen, wo wir aussteigen müssen, und auch der Zeltplatz ist irgendwie vertraut. Es ist ein bisschen wie Nach-Hause-Kommen.
Info
Trekking auf dem Kjalvegur
Der Kjalvegur ist eine Trekkingroute, die sich im unbewohnten Hochland zwischen den Gletschern Langjökull und Hofsjökull befindet. Die Tour ist ca. 50 km lang, auf einer ungefähren Höhenlage zwischen 420 und 750 m ü.d.M. angeordnet und leicht. Somit ist sie durchaus für Familien geeignet oder als Einstieg ins Hochlandtrekking. An der Strecke gibt es drei spartanische Hütten der isländischen Wandervereinigung FI, in denen man übernachten kann. Im Umfeld der Hütten ist das Zelten möglich. Essen muss für die gesamte Tour mitgenommen werden. Am Schluss der Tour, in Hveravellir, gibt es einen Campingplatz, eine Hütte und ein Restaurant, die nicht zum FI gehören. Die Route kann auch in umgekehrter Richtung gegangen werden.
Anreise
Flug nach Reykjavik (Keflavik)
Bus vom BSI-Terminal in Reykjavik nach „Hvítarnes Crossroads“
Reisezeit
Mitte Juni bis Anfang September (Öffnung der Hochlandstraßen beachten!)
Etappen
Hvítárnes Crossroads - Hvítárnes: 8,5 km, 2,5 Stunden *)
Hvítárnes - Þverbrekknamúli: 15 km, 5-6 Stunden
Þverbrekknamúli - Þjófadalir: 14 km, 5-6 Stunden
Þjófadalir - Hveravellir: 12 km, 4-5 Stunden
Entfernungen und Zeiten lt. www.fi.is, *) nach Erik Van de Perre
Unterkünfte
FI-Hütten und Zelt-Möglichkeit in Hvítárnes, Þverbrekknamúli, Þjófadalir
Lodge, Hütte und Zelt-Möglichkeit in Hveravellir
Karte
Sérkort 3: Kjölur Langjökull Kerlingarfjöll. 1:100.000 1:50.000. New Revised Edition. Mál og menning, 2016.
Literatur
Webseite der isländischen Wandervereinigung Ferðafélag Íslands (FI): www.fi.is
Erik Van de Perre: Island: Trekking-Klassiker. Conrad Stein Verlag, 2016.
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ines (Dienstag, 11 September 2018 21:37)
Das hört sich entspannt an. Auch die Fotos sind wunderbar. Dankeschön es ist toll mit dir zu reisen.
Yvonne (Sonntag, 21 Oktober 2018 19:17)
Wow! Ich bin beeindruckt von den Fotos :) sehr sehr schön!
Der Rucksack sieht nicht gerade klein und leicht aus ...alle Achtung, da Frau sicher froh, wenn der am Ende einer Tagesetappe abgestellt werden konnte...
Freu mich auf den nächsten Beitrag & sende liebe Grüße!
Yvonne (Sonntag, 21 Oktober 2018 19:19)
...die Tourbeschreibung ist natürlich auch sehr gut und wirklich hilfreich, falls man selbst die Runde genießen will :)