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Zwischen Winter-Weiß und November-Grün: Eine Harzquerung

Kann man Anfang Januar (kurz nach Weihnachten!) schon wieder urlaubsreif sein? Ich konnte! – Und hatte die Absicht, meinen Kopf leer zu bekommen. Das gelingt mir am besten im Wald, beim Laufen und allein. Quer durch den Harz wollte ich gehen, dabei ließ ich mich vom Harzer-Hexen-Stieg leiten.

Dieser führt durch drei Landkreise in zwei Bundesländern, was mir die Gelegenheit gab, mich mit mehreren Corona-Regelungen zu befassen. Die omnipräsente 2Gplus-Regel animierte mich, nach einem kurzfristigen Booster-Termin zu suchen – und zwei Tage vor der Abreise in der TU Dresden auch zu finden. Die erwarteten Nebenwirkungen waren pünktlich zum Start der Wanderung vorbei.

Die Bahn brachte mich nach Osterode. Dort hatte ich im Jugendgästehaus der Stadt ein Zimmer reserviert. Der Fußboden im Foyer des Hauses erschreckte mich mit einem Heer versprengter Kinderschuhe. Die Mitarbeiterin am Empfang meinte beruhigend: „Sie sind in der 1. Etage untergebracht, die Kids sind eine Etage höher.“ Ganz jugendherbergsmäßig übergab sie mir mein Wäschepaket. Das Zimmer war karg möbliert (den Fernseher ignoriere ich an dieser Stelle), es war sauber, hell und warm. Und bei 34,50EUR für ein Einzelzimmer mit Frühstück beziehe ich gerne mein Bett selbst. Beim nachmittäglichen Akklimatisations-Spaziergang (auf 220 m ü NN) gewann ich einen Eindruck von Osterode: Kleinstadt am Harz (nicht im!) zwischen Fachwerk und 60er Jahre Charme.

Zum Frühstück war ich die erste und einzige im Speisesaal, die Kids waren nebenan lautstark mit Selbsttests unter pädagogischer Anleitung befasst. Derweil gingen draußen die ersten Schneeflocken nieder. Bei meinem Aufbruch war Osterode weiß gepudert. Ich folgte dem Hexenstieg bergauf, und mit jedem Höhenmeter lag und fiel mehr Schnee. Das Ganze wuchs sich zu einem Schneetreiben aus. In den Schutzhütten, die es auf dieser ersten Etappe reichlich gab, traf ich ein paar Mal zwei junge Männer aus Kassel. Bereits bei der ersten Begegnung fielen mir die Trekkingstöcke auf, die aus ihren Rucksäcken ragten. Das gab mir zu denken! Beim nächsten Treffen hatten sie die Stöcke im Einsatz. Der Gedanke an meine Trekkingstöcke, die zuhause auf dem Dachboden lagen, ließ mich nicht mehr los.

Ich passierte Teiche, Gräben, Mundlöcher, lief über verschneite Dämme – allesamt zum „Oberharzer Wasserregal“ gehörend, einem in vergangenen Jahrhunderten geschaffenen wasserwirtschaftlichen System des Bergbaus. Außerdem: viel Schnee, keine Fernsicht, viel Kahlschlag. Letzterer erschwerte die Orientierung, zumal es im Hexenstiegführer von 2018 noch hieß: „An der nächsten Gabelung in den Wald“. – (Erst der Borkenkäfer, dann der Harvester!)

Mein Etappenziel war Altenau, ehemals eine der sieben Oberharzer Bergstädte, jetzt ein etwas angestaubt wirkender Urlaubsort mit „Heidi´s Schnell-Restaurant“, „Hardys Lotto Laden - Märklin und Carrera“ und einer Brauerei („Altenauer“. Natürlich!). Aus einiger Entfernung betrachtet dominieren Plattenbauten (!) die Silhouette von Altenau - der aus den 70er Jahren stammende Ferienpark „Auf dem Glockenberg“. Die Plattenbauten verdrängen jegliche Idylle.

Am nächsten Morgen las ich im Vorbeigehen an einem Schaufenster: „Skischule und -verleih“. Spontan fragte ich im Laden nach, ob ich ein paar gebrauchte Skistöcke kaufen könne. Kurz darauf hielt ich welche in Händen, die hatten offensichtlich ein paar Saisons hinter sich, doch als Wanderstöcke für die folgenden Tage waren sie großartig! Und: Ich bekam sie geschenkt.

Die nächsten Stunden war es einsam und sehr still auf dem Hexenstieg. Die – leicht verbogenen - Wanderstöcke gaben Halt im frisch gefallenen Schnee. Kurz vor Torfhaus kam Leben auf den Stieg. Meine Absicht, in diesem Örtchen (22 Einwohner) den kleinsten Globetrotter-Laden und das Nationalparkzentrum zu besuchen, geriet ins Wanken - und brach am Ortseingang vollends in sich zusammen: An einem neuschneereichen Samstag war die Tagestouristen-Hölle los! Niedersächsische Familien mit Skiern, Schlitten und zu Fuß oder noch auf Parkplatzsuche bestimmten die Szenerie. Auch meine Idee, von Torfhaus über den Brocken nach Schierke zu laufen, verwarf ich. Stattdessen entschied ich mich für die südliche Brockenumgehung. Mein Tagesziel hieß nun Sankt Andreasberg.

Das Städtchen war DIE Überraschung schlechthin! Die verschneite Bergstadt faszinierte mich durch weihnachtlich geschmückte Straßen und Plätze - und ihre Topographie: Ehemalige Bergarbeiterhäuser, zweigeschossig mit Holzfassaden oder Fachwerk und Satteldächern stehen dort an steilen Straßen, die in schönstem Auf und Ab mehrere hundert Meter (!) Höhendifferenz überwinden.

Die Etappe am darauffolgenden Tag begann bei dichtem Schneefall und im Nebel: „Wo ist mein Weg?“, dachte ich. Komoot musste helfen, und Komoot half. Einige Zeit verließ ich mich völlig auf die Technik. Der Weg war menschenleer, und gelegentliche Anstiege waren schweißtreibend. Wie schön!

Ich erreichte Braunlage. Immer noch Wochenende, immer noch Neuschnee, immer noch Familien mit Kindern: diesmal am Schlepplift (ohne Warteschlange) und an der Seilbahn (mit Warteschlange). - Schnell weg! Zwischen Braunlage und Elend mutierte die Tour zur Tiefschneewanderung. Ich passierte die ehemalige deutsch-deutsche Grenze und „Kukkis“ - Original Erbsensuppe aus der Gulaschkanone direkt an der B27. Die Anzahl der hungrig wartenden Autofahrer konnte es mit der der Skifahrer an der Seilbahn aufnehmen. Ich reagierte wie in Braunlage – und lief weiter: Über Elend (die kleinste Holzkirche Deutschlands!) nach Königshütte.

Im Januar sind wenige Touristen unterwegs, hatte ich im Vorfeld der Trekkingtour gedacht, gut für die Quartiersuche. Vor Ort stellte ich fest, Angebot und Nachfrage halten sich die Waage: Auch etliche Pensionen hielten Winterschlaf. In Königshütte war es nicht ganz einfach, eine Unterkunft zu finden. Doch es gelang. Das Frühstück servierte man mir auf dem Zimmer. Nicht, weil das Haus so nobel, sondern ich die einzige Gästin war.

 

Von Königshütte über Rübeland nach Altenbrak hätte ich mich auch beamen können. Die Etappe war ereignislos. Im Bodetal war es vorbei mit Winterweiß, hier dominierten Braun und Grün. Mir schien, ich hatte nahezu unbemerkt eine Wettergrenze passiert und bei dieser Gelegenheit auch eine Kulturgrenze überschritten: Die Orte im Unterharz „fühlten“ sich anders an als die im Oberharz.

 

Hatte das Bodetal mich bisher enttäuscht, so erwartete ich von seinem weiteren Verlauf zwischen Treseburg und Thale sehr viel! – Doch gleich am Eingang zum Felsental ließ mich ein Schild zusammenzucken: „Achtung, Lebensgefahr! Durchgang verboten.“ Ich kehrte um, lief ein paar hundert Meter zurück nach Treseburg und befragte einen Einheimischen. Seine Antwort: „Das Schild ist alt. Die haben bestimmt vergessen, es abzubauen. Da können Sie durch.“ Das tat ich – mit einigem Herzklopfen. Und tatsächlich: In der Gegenrichtung in Thale gab es das Schild nicht.

Ehe ich in Thale den Zug bestieg, blieb noch Zeit für einen Bäckereibesuch: Mit zwei Stück Kuchen in der einen Hand und einem doppelten Espresso in der anderen trat ich die Heimreise an.

 

Übrigens: Meine Erwartungen an das vielgepriesene „wildromantische“ Bodetal haben sich auf der letzten Etappe doch noch erfüllt!

Meine Harzquerung im Überblick

Etappe 1: Osterode – Altenau (ca. 24 km)

Etappe 2: Altenau – Torfhaus – Sankt Andreasberg (ca. 24 km)

Etappe 3: Sankt Andreasberg – Braunlage – Königshütte (ca. 24 km)

Etappe 4: Königshütte – Rübeland – Altenbrak (ca. 25 km)

Etappe 5: Altenbrak – Thale (ca. 15 km)